10 Jahre Caritas Stadtteilarbeit

Die Stadtteilarbeit der Caritas Wien feiert 2022 ihr 10-jähriges Bestehen. Ein Gespräch mit Katharina Kirsch-Soriano da Silva, der Leiterin der Stadtteilarbeit, gibt Einblicke in die Entwicklung des Arbeitsfelds sowie in aktuelle und zukünftige Schwerpunkte.

Weshalb macht die Caritas Stadtteilarbeit?
Neben der Hilfe für Menschen in Not und der Begleitung von pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen, wurde von der Caritas in den vergangenen Jahren der Bereich Gemeinwesenarbeit ins Leben gerufen. Dieser bietet nicht nur individuelle Unterstützung an, sondern nimmt auch das soziale Umfeld und soziale Verhältnisse verstärkt in den Blick. Da dies häufig auf Ebene eines Stadtteils, eines Quartiers oder einer Gemeinde geschieht, entwickelte sich vor mittlerweile 10 Jahren die Stadtteilarbeit der Caritas Wien. Unsere Themenfelder sind vielfältig: Wohnen und Zusammenleben sowie die Mitgestaltung des eigenen Wohnumfelds, sozial und ökologisch nachhaltige Stadtteilentwicklung, Gesundheitsförderung in der Nachbarschaft, Migration und Diversität sowie die Förderung von sozialer Teilhabe für alle Bevölkerungsgruppen. Ein besonderer Fokus liegt darauf, Orte zu schaffen, an denen Menschen einander treffen und eigene Ideen gemeinsam umsetzen können.

Wie groß ist die Stadtteilarbeit?
Heute ist die Stadtteilarbeit in ganz Wien und in einigen Gemeinden Niederösterreichs tätig. Wir sind ein interdisziplinäres Team mit rund 25 Mitarbeiter*innen und mehr als 40 Freiwilligen. Darüber hinaus engagieren sich viele Menschen in Bewohner*innengruppen und nachbarschaftlichen Initiativen, die wir fördern und begleiten - beispielsweise in Gemeinschaftsgärten oder Gruppen zu ökologischen, (inter)kulturellen sowie gesundheitlichen Themen.

Was waren in den vergangenen 10 Jahren Meilensteine und wichtige Entwicklungsschritte?
Die Stadtteilarbeit der Caritas Wien hat 2012 mit dem Pilotprojekt „Grätzeleltern“ gestartet. Dabei wurden Multiplikator*innen verschiedener Herkunft geschult, um andere Menschen in ihren Communities muttersprachlich und niederschwellig bei Alltagsthemen zu unterstützen – wie beispielsweise bei Fragen zu Wohnen und Ankommen in Österreich und bei Behördengängen. Ziel war es, solidarische Netzwerke zu stärken und Menschen zu ermächtigen, selbst Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Bis heute sind rund 35 freiwillige Grätzeleltern aktiv und haben mehr als 2.400 Haushalte dabei unterstützt, ihre Lebenssituation zu verbessern.

Seit 2013 ist die Begleitung von neu entstehenden oder sich verändernden Nachbarschaften in Wohnquartieren ein weiteres Tätigkeitsfeld der Stadtteilarbeit. Zur Förderung der sozialen Nachhaltigkeit im Wohnbau sind wir in der Besiedelungsbegleitung und im Quartiersmanagement tätig, unterstützen lebendige Nutzung und Mitgestaltung von Gemeinschaftsräumen und Freiräumen, moderieren Aushandlungsprozesse vor Ort und fördern Initiativen von Bewohner*innen. Zusätzlich unterstützen wir die Schaffung von Wohnformen für besonders vulnerable Zielgruppen, wie beispielsweise Senior*innen, Alleinerziehende oder auch wohnungslose Menschen, und begleiten Projekte der Stadterneuerung und Stadtentwicklung. In den letzten Jahren legten wir zudem einen Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit. Neben Ansätzen zur Bekämpfung von Energiearmut, beschäftigen uns vor allem Projekte für klimafreundliches und nachhaltiges Leben.

Ein weiterer Meilenstein war das Projekt „Community Cooking“. Seit 2015 lädt ein multikulturelles Team regelmäßig zu offenen Kochrunden in die Gemeinschaftsküche in der alten Ankerbrotfabrik in Wien Favoriten ein. Die Küche hat sich mittlerweile als Ort der interkulturellen Begegnung etabliert, wo über Kochen verschiedene Menschen zusammenkommen, neue Kontakte und Freundschaften entstehen und voneinander gelernt wird – nicht zuletzt über gesunde Ernährung und die besten kulinarischen Tipps.  

Worin siehst du die größten Zukunftsthemen der Stadtteilarbeit?
Das größte Zukunftsthema in unserer Gesellschaft ist für mich die Frage der sozialen Inklusion. Sei es das Mitspracherecht von Personen mit ausländischen Staatsangehörigkeiten, der Blick auf Menschen die durch Armut gefährdet sind oder der Zugang für alle leistbarem Wohnraum, Bildung und Arbeit. Auch der Aufbau von sozialen Netzwerken ist hierbei ein wichtiges Thema. Immer mehr Menschen sind heutzutage von Einsamkeit betroffen – erst durch Beziehungen entstehen Netzwerke und können solidarisches Handeln sowie zivilgesellschaftliches Engagement gestärkt werden.

Aber auch ökologische Nachhaltigkeit beziehungsweise klimafreundlichere Lebens- und Wirtschaftsweisen sehe ich als ein wichtiges Zukunftsthema an. Auf Ebene der Stadtteilarbeit sind hier beispielsweise Sanierung und Adaptierung von bestehenden Quartieren anstelle von Abriss und Neubau, die Förderung lokaler Kreisläufe oder auch die Entwicklung von Tausch- und Teilangeboten gefragt.

Das dritte Zukunftsthema ist aus meiner Sicht die Begleitung von Veränderungsprozessen. Unsere Städte und Gemeinden verändern sich laufend. Gerade in Zeiten der Corona Pandemie, aber auch angesichts von Kriegen und globalen Fluchtbewegungen ist es wichtig, Veränderungen zu begleiten, Resilienz im Umgang mit Krisen zu stärken, in und aus Krisen zu lernen und alternative Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft von Stadt und Gesellschaft zu entwickeln.

Was war für dich in den letzten 10 Jahren ein besonderes Highlight?
Für mich ist es immer ein besonderes Highlight, wenn Menschen selbst aktiv werden, sich für ihre Anliegen einsetzen. „Ich war selbst einmal neu in Österreich und mir hat Orientierung und Wissen über das Leben hier gefehlt“, schilderte mir zuletzt Abeer Mohamed von den Grätzeleltern. „Durch meine freiwillige Tätigkeit habe ich sehr viel gelernt und gebe nun mein Wissen und meine Erfahrungen an andere weiter.“

Foto: Katharina Kirsch-Soriano da Silva, Leiterin der Stadtteilarbeit © Gegenblick